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EM-Debakel der NiederlandeVöllig durcheinander

Spätestens mit dem 0:4 gegen England verabschieden sich die Niederlande aus dem Favoritinnenkreis. Ein neuer Trainer soll den Neuaufbau einleiten.

Kein seltenes Bild: der Ball im Tor der Niederländerinnen Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Zürich taz | Andries Jonker kann man als einen nüchternen Mann beschreiben. Wenn es aber nicht mehr anders geht, kann er eine erstaunliche Fantasie entwickeln: „Heute haben wir eine Tracht Prügel bekommen, aber dasselbe kann Frankreich auch passieren.“

Es braucht schon große Vorstellungskraft, um den bislang so beeindruckenden Französinnen solch einen hilflosen Auftritt zuzutrauen. Der niederländische Trainer musste nach dem 0:4 gegen England die provokative Frage eines Landsmanns beantworten, ob sein Team eben diesen nächsten Gegner mit drei, vier oder mehr Toren Abstand schlagen könne. Nur so scheint die vorzeitige Heimreise von dieser EM nächsten Sonntag abgewendet werden zu können.

Geradezu trotzig und unbeeindruckt von der derben Niederlage hielt der 62-jährige Coach an seiner Überzeugung fest, die Niederlande, Europameisterinnen von 2017, würde abgesehen von Spanien weiter auf Augenhöhe mit den zehn, elf Topteams dahinter stehen. Lange Zeit war diese Ansicht durchaus haltbar, aber spätestens nach den Eindrücken vom Letzigrund in Zürich am Mittwochabend muss man zu dem Schluss kommen: Das Ablaufdatum der These ist überschritten.

Fehlende Widerstandskraft

Die bewährten Kräfte von einst, wie Jackie Groenen (30), Danielle van de Donk (33) oder Sherida Spitse (35) sind über ihrem Leistungszenit, die Nachrückerinnen können das nicht auf erforderliche Weise konstant genug auffangen. Gegen England konnte man den fehlenden physische Widerstand zuweilen schon als eine vorzeitige Kapitulation interpretieren. In der besonders schwachen ersten Halbzeit gewannen die Niederländerinnen lediglich 38 Prozent ihrer Zweikämpfe.

Von der für die Niederländerinnen so identitätstiftenden Abteilung Attacke war ebenfalls wenig Gewinnbringendes zu vermelden. Lediglich ein Schuss kam im ganzen Spiel aufs gegnerische Tor. Durch das Pressing der Engländerinnen ließen sich die Offensivfreundinnen in den ungewohnten Rückwärtsgang zwingen. Dass Torhüterin Daphne van Domselaar am Ende die meisten Ballkontakte unter ihren Kolleginnen hatte, erzählt schon viel über diese Partie. „Wir haben nicht als Team gespielt. Wir waren völlig durcheinander“, beklagte die 25-Jährige.

Ganz neu sind diese Pro­bleme nun wirklich nicht. Darauf machte Andries Jonker unfreiwilligerweise selbst aufmerksam, als auf der Pressekonferenz ein Fragesteller von der höchsten Niederlage für die Niederlande sprach. „Sicher?“, hakte Jonker nach, „ich erinnere mich an ein 0:4 gegen Deutschland.“ Ende Mai war das erst. Der Reporter präzisierte unterdessen, dass die aktuelle Schlappe gegen England die höchste Niederlage bei einem Turnier gewesen sei.

Das kümmere ihn nicht wirklich, bekannte Jonker. Der Mann lässt sich sowieso nicht schnell aus der Ruhe bringen. In Zürich hatte man bisweilen den Eindruck, dass dies auch ein Problem sein könnte. Während der ganzen Spielzeit stand der Coach meist mit den Händen in den Taschen seines dunklen Jacketts an der Seitenlinie. Die Zeit der Verletzungspausen ließ er verstreichen, ohne seine Spielerinnen mit Hilfestellungen und Anweisungen zu unterstützen. Jeder Trainer hat so seinen Stil. Energiespendend ist der von Jonker bestimmt nicht.

Eine gewisse Distanz zwischen Trainer und Team war in Zürich nicht zu übersehen. Die in der 66. Minute eingewechselte Spielmacherin van de Donk erklärte dem TV-Sender NOS, sie hätte eigentlich auch von Anfang an spielen können. Das müsse ein Missverständnis sein, sagte später Andries Jonker. Mit den Ärzten und ihr sei man im Gespräch zu dem Ergebnis gekommen, sie könne nur 20 bis 25 Minuten spielen.

Dass die Zeit für einen Neuanfang gekommen ist, zu dieser Ansicht gelangte der niederländische Verband bereits im Januar und verlängerte den Vertrag mit Jonker nicht. Arjan Veurink wird sein Nachfolger. Die alte Zeit dann doch bis zur Europameisterschaft mit Jonker auslaufen zu lassen, das war gewiss keine gute Idee. Wie sollen die Spielerinnen einem Trainer vertrauen, dem der Verband nicht mehr vertraut.

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